Blockaden blockieren
Blockaden blockieren natürlicherweise immer. Sonst wären sie ja keine. Aber es gibt verschiedene Blockaden. Unbeliebte und sehr beliebte. Unbeliebt sind alle Blockaden, die immer nur diejenigen befriedigen, die etwas blockieren und diejenigen aggressiv machen, die etwas und dadurch sich selbst blockiert fühlen. Hingegen gibt es speziell im Landkreis Uelzen Blockaden, die dadurch entstehen, dass alle Beteiligten befriedigt sind. Es sind die „sommerlichen Blockaden", die wir heute untersuchen wollen: Je höher das Wetterhoch desto höher schlagen die Blockierer-Herzen - nur ein Beispiel von vielen bei uns in Allenbostel. Auf dem Straßenabschnitt vor Heiner Brüggemanns Hofeinfahrt sammeln sie sich. Dort stehen die Blockierer zunächst um den Traktor oder Anhänger und palavern gemütlich. Nach zirka einer Stunde hat sich der Kreis vergrößert: meist um diejenigen, die ganz bürgerlich auf dieser Straße hin oder zurück nachhause wollten. Und hängenbleiben. Ein zugerufener Spaß, ein Wink mit der Bierflasche- und die Runde wird größer und länger. So viel länger, daß die meisten es sich auf dem Asphalt der Straße bequem machen, während die Nachkömmlinge noch stehen. Die zweite Blockierer-Gruppe unseres Dorfes ist gleich einige hundert Meter weiter. Am Brink hart immer eine Gruppe Jugendlicher und auch diese Gruppe lädt zum Verweilen ein Neben der Straße, auf der Straße, mit Getränken und ohne. Allerdings hat diese Gruppe eine drastische Altersbeschränkung nach unten. Maximal zwanzig- jährige sind dort willkommen. Ich bin Blockierer-erprobt: In einem anderen Volk unseres Vielvölkerkreises - („Das ist vielleicht ein Völkchen... " sagen wir ja in einem Dorf über die anderen im anderen Dorf) - woanders also, im Hösseringer Volk gibt es die Variante, mit Autos zu blockieren. Dort zum Beispiel fährt ein Bürger, der etwas mitzuteilen hat oder mitgeteilt bekommen möchte, einfach ein in das Dorf- und hält auf der Straße an. Keine Sekunde vergeht und ein zweiter Wagen von gegenüber hält und tauscht manchmal die norddeutsche Fassung „Grüß Gott", immer aber etwas Neues aus. Manchmal wird auch von Sattelschlepper zu Sattelschlepper kommuniziert - blockierenderweise. Auch diese Hösseringer Mini-Staus blockieren objektiv - subjektiv gehts allen prima. Sie sind Bestandteil des Sommers, diese Blockaden. Sie sind dazu da, die Kommunikationsblockaden der kalten Jahreszeit auszugleichen, in denen wir uns autistisch in unsere Häuser verkriechen. Die sommerlichen Blockaden arbeiten sozusagen wie die Homöopathie, die Giftiges mit Gift behandelt. Die Winter-Blockade und ihre Folgen behandeln wir mit der sommerlichen Blockade. Nur in Uelzen gibt es keine solchen sommerlichen Blockaden auf den öffentlichen Straßen. Sie sind geregelter, die Uelzener. Und deshalb erst in vier Wänden ihrer Stamm-Sommerkneipen anzutreffen - aber da sind es keine echten Blockaden mehr. Uelzen braucht eben mehr Dorf.
18. Juli 1995